Warum Euer Preis-Spott Apple Freude macht
Die Berichterstattung über die Apple Watch habe ich über mich ergehen lassen müssen, die Reaktionen auf die Berichterstattung, die Reaktionen auf die Reaktionen usw. Als unangenehm empfand ich die hohe Erwartbarkeit vieler deutschsprachiger Beiträge, ob von Medien, Tech-Blogs oder Privatpersonen auf Facebook oder Twitter. Aber darum geht es mir nicht, mit Erwartbarkeit habe ich selbst auch zu kämpfen, es ist nicht so einfach, ihrem stetig starrer werdenden Griff zu entkommen.
Die teuerste Uhr von Apple kostet 18.000,- Euro, und es macht es natürlich Spaß, diesen vermeintlich astronomischen Preis zu verspotten. Denn der Preis ist astronomisch. Aber es gibt einen für Non-Uhrenpeople verstörend großen Markt für Uhren im fünfstelligen Preisbereich. Jeder kennt Rolex-Werbung, die Marke hat eine hohe Präsenz. Das liegt daran, dass sie keine kleine Zielgruppe hat – nicht trotz der Preise, sondern wegen der Preise. Die (von Uhrenleuten eher belächelten) absoluten Einsteiger-Modelle liegen um die 4.000 Euro, dann gibt es einen ersten Preisschwerpunkt um die 6.000 Euro, einen zweiten zwischen 8.000 und 10.000 Euro, dann kommt ein Sprung in den 20er-Bereich, bevor die Spreizbreite zwischen 35.000 bis 114.000 Euro reicht. Das Vorzeige-Modell Day-Date, ungefähr die E-Klasse von Rolex, beginnt bei 22.330 Euro. Das sind die Listenpreise (Stand 2011), keine Spezialanfertigungen.
Es handelt sich schlicht um einen Markt, der völlig außerhalb der Fassbarkeit des Normalnerds liegt, also der Person, die sich überhaupt gezwungen sieht, sich zu neuen Technologien zu äußern und die bisher Apple meist mit einer gewissen Hassliebe verfolgt hat. Allein die Schweiz exportiert jährlich rund 500.000 dieser Hochpreis-Uhren (Quelle: der sehr empfehlenswerte Podcast a16z von Andreessen Horowitz).
Und jetzt kommt Ihr ins Spiel, die Ihr hämische, amüsierte oder neiderfüllte Scherze macht (psychohygienisch vollkommen zu Recht natürlich) über die superteure, goldene Apple-Uhr, die nur Deppen kaufen. Wie jeder einzelne davon Apple glücklich macht! Denn Märkte funktionieren nach einer bestimmten Psychologie, die oft auf den ersten Blick kontraintuitiv wirkt. Den Begriff “Lockvogelangebot” kennt jeder, es handelt sich um ein superbilliges Produkt, das die Leute in den Laden locken soll. Fast unbekannt ist der reverse Lockvogel, genannt “Decoy Effect” oder “Asymmetrischer Dominanzeffekt”.
Zu besichtigen sind die Folgen dieses Effekts auf das Konsumverhalten des Publikums in jedem Technikmarkt. Wenn man in die Flatscreen-Abteilung läuft, steht gleich am Anfang ein unfassbarer Superbildschirm mit ganz viel Zoll Bildschirmdiagonale und fünf bis sieben brandneuen Tech-Abkürzungen drin, 4K3D, Curved UHD und so weiter. Und zwar für absonderliche 29.999,- Euro.
“OMG, wer gibt denn im Media-Markt verdammte dreißigtausend Schleifen aus für einen Flatscreen, für den man die Außenmauern aufstemmen lassen muss, um ihn ins Wohnzimmer zu stellen?” Fragt man sich dann so. Die Antwort lautet: praktisch niemand, und das ist den Verkäufern auch völlig klar.
Aber der asymmetrische Dominanzeffekt wirkt. Denn im direkten Kontrast mit dem superteuren Flatscreen fühlen sich alle anderen Produkte gleich viel billiger an. Und zwar erst recht, wenn man die Fähigkeiten der Screens direkt vergleicht. Bis auf ein paar Zoll Größe kann der Flatscreen daneben fast alles, was der teure kann – aber er kostet nur 3.999,99 € – ein Superschnäppchen!
Es ist nicht nur so, dass die goldenen Apple-Uhren einen eigenen Markt bedienen, auf dem andere Gesetze herrschen. Sie lassen gleichzeitig auch die 700-Euro- Uhren billiger erscheinen. Erst recht, weil die gleiche Technologie darin verbaut ist; die 18.000 Euro-Uhr trägt exakt die gleiche Technik in sich wie die 700 Euro-Uhr. Ein Schnäppchen!
Das ergibt eine superkluge, von Apple kalkulierte Doppelwirkung: Die Leute, die sich über hohe Preise auch einen Distinktionsgewinn erkaufen wollen, die Produkte genau deshalb wollen, weil sie eben nicht jeder kaufen kann, die haben endlich ein Technologieprodukt von Apple genau dafür. Die Leute dagegen, die die Uhr anhand der Technologie bewerten, glauben, ein irres Schnäppchen zu machen. Weil sie für 700 Euro eine Uhr bekommen, die die gleiche Technik mitbringt wie das Modell für ein halbes Jahresgehalt.
Und spätestens jetzt wird es überdeutlich. Mit jedem Witz, wie irre teuer die goldene Apple-Uhr ist und wie doof die Douchebag-Käufer – schreit man gleichzeitig unvermeidbar in die Welt, wie schnäppchenhaft billig die 700-Euro-Uhr von Apple ist mit der gleichen Technologie. Und wie clever die Käufer dieser Uhr dadurch sind. Bessere Werbung als der Spott über die überteuerten Golduhren ist für die “normalen” Apple-Uhren kaum vorstellbar, Decoy-Effekt sei Dank.