Angenommen, in einem Städtchen wären jede Menge Brandstifter unterwegs und man würde deshalb mit einem schönen Fest ein Zeichen setzen wollen gegen brennende Häuser. Gute Idee. Aber dann kommt das Feuerwerk zum Fest und eine der Raketen fliegt direkt in ein Haus hinein und setzt es in Brand. Dann würde man trotz guten Willens etwas sehr falsch gemacht haben.
Hört sich konstruiert an, zugegeben, aber es ist als etwas bemühte Metapher nicht weit entfernt von meiner Republica-Rede 2018 mit dem Titel „Pop und Antipop – Wie das Internet uns lehrte zu kämpfen. Und wofür.“
Mein Ziel war, mit der Rede den Kampf für eine gerechtere und weniger diskriminierende Gesellschaft voranzubringen. Aber ich habe dabei etwas getan, das genau gegenteilig gewirkt hat – ich habe in einer wichtigen Passage der Rede einen transfeindlichen Begriff benutzt, den ich hier zu Dokumentationszwecken anführe: „She-Male“. Dieses Wort wird von der überwiegenden Mehrheit von transgender Personen als sehr abwertende Beleidigung gesehen.
Es war falsch von mir, diesen Begriff zu verwenden. Mich nicht vorher besser zu informieren, war unbedacht und durch die große Reichweite auch fahrlässig. Und weil ich mit diesem Fehler Menschen verletzt und Schaden angerichtet habe, möchte ich dafür um Entschuldigung bitten. Dass ich nicht um die abwertende Bedeutung wusste, macht den Schaden nicht unbedingt kleiner; dass ich eigentlich das exakte Gegenteil bewirken wollte – nämlich Toleranz für und Akzeptanz von Andersartigkeit – macht meinen Fehler eher noch ärger.
Ohne das als Ausrede oder Ausflucht präsentieren zu wollen, möchte ich erklären, warum ich diesen Fehler gemacht habe – und zwar weil ich glaube, dass daraus nicht nur ich, sondern vielleicht auch andere etwas lernen können. Es müssen ja nicht unbedingt jeden zweiten Dienstag Häuser brennen, damit mehr Leute mit Feuerwerksraketen vorsichtiger umgehen (ich gebe zu, meine ohnehin schon krumme Metaphorik kracht jetzt voll ins Windschiefe).
Vor einiger Zeit hatte ich auf Twitter Kontakt mit einer trans Frau, die ich als engagierte Aktivistin erlebt habe (sie ist leider nicht mehr dort). Besonders gut gefiel mir ihre offensive Art, mit trans Themen in der Öffentlichkeit umzugehen. Sie hatte sich die Selbstbezeichnung „lesbische She-Male“ gegeben. Der Begriff erschien mir eindrucksvoll, und ich übernahm ihn für meinen Vortrag. Was ich nicht bedacht hatte – dass es Selbstbezeichnungen gibt, die zwar sehr abwertend und beleidigend sind, aber von den entsprechenden Gruppen trotzdem oder gerade deshalb selbst verwendet werden. Am bekanntesten darunter dürfte das amerikanische N-Wort sein, das beim Hip-Hop allgegenwärtig ist – aber eben nur dann als nicht-rassistisch gelten kann, solange schwarze Menschen es selbst verwenden. Das von mir benutzte S-Wort kommt dem N-Wort diesbezüglich nahe.
Diese Parallele ist um so ärgerlicher, weil ich neulich anlässlich der Empörung um eine rassistisch betitelte Sendung des MDR eine Kolumne geschrieben und einen Podcast aufgenommen habe, bei denen ich sehr darauf achtete, das N-Wort weder auszuschreiben noch in voller Länge zu sagen. Nicht, weil ich religiös an „Political Correctness“ hinge (meine Position dazu habe ich hier schon mal umrissen). Sondern weil ich Menschen nicht anhand von körperlichen Merkmalen pauschal abwerten möchte. Mir ist in dem Kontext übrigens schleierhaft, warum die rechte Sprachpolizei anderen ständig vorschreiben will, Beleidigungen nicht auch Beleidigungen zu nennen. Aber ich schweife ab, es geht ja um meinen Fehler.
Eine Reihe von aufmerksamen Leuten hat mich auf Twitter und per Mail auf die Bedeutung und Wirkung des Wortes hingewiesen, und ich habe darauf hin Kontakt aufgenommen mit einigen trans Frauen, um erst einmal genauer zu verstehen, warum dieser Begriff so abwertend ist.
Esther Weidauer hat mir dazu geschrieben:
„Zum Begriff „She-Male“: Der Begriff findet nahezu ausschließlich in der Mainstream-Pornoindustrie Verwendung, die sich primär an cis Männer richtet und deren Vorlieben und Fantasien bedient. Ein zentraler Aspekt von trans-misogyner Diskriminierung und Ausgrenzung ist eben genau die Fetischisierung durch cis Männer. […] Der Begriff ist auch deshalb besonders schmerzlich, da das Stammwort „Male“ ist. Er beschriebt sehr explizit die zutiefst trans-misogyne Vorstellung, dass transgender Frauen eigentlich Männer seien. Diese Idee sitzt leider immer noch in vielen Köpfen fest, erschwert unzähligen trans Frauen das Leben und treibt letztendlich viele in schwere Depressionen bis hin zum Suizid, leider eine der häufigsten Todesursachen unter transgender Frauen.„
Jenny Wilken schrieb:
„Ich finde den Begriff transfeindlich, weil er für mich implizierte, dass damit auf alle Trans*Frauen Bezug genommen wird. Diese Gleichsetzung findet leider sehr häufig statt und bedient nur Klischees von Trans*Frauen als Sexobjekt. Das ist ein wunder Punkt von mir und vielen anderen Trans*Frauen.“ (Anmerkung: Das „damit“ bezieht sich auf Sexarbeit/Pornographie, wo der Begriff intensiv verwendet wird)
Es gab noch einige andere sehr interessante Gespräche, aber ich denke, das reicht aus, damit man von außen meinen Lernprozess nachvollziehen kann. In meiner Rede habe ich mich für „Redlichkeit“ ausgesprochen – und dazu muss auch gehören, sich konstruktiv mit den eigenen Fehlern und Unzulänglichkeiten zu beschäftigen. Nun bin ich kein Anhänger des Konzepts „Wiedergutmachung“, das hat immer so ein wenig den Beigeschmack von „ungeschehen machen“, was bekanntermaßen nicht möglich ist.
Aber ich möchte dem Schaden etwas Positives gegenüberstellen. Deshalb habe ich mich neben der Veröffentlichung dieses Textes zu folgenden Schritten entschlossen:
- Ich stelle zeitnah die Schriftversion meiner Rede auf diese Seite. Dort werde ich den verletzenden Begriff austauschen gegen trans Frau (wer hierzu andere Vorschläge oder Anmerkungen hat, gern in die Kommentare schreiben). Außerdem weise ich an der entsprechenden Stelle auf die Veränderung und diesen Text hin.
- Ich bitte die Republica, unter dem Video meiner Rede auf Youtube eine Bemerkung sowie einen Link zu diesem Text prominent zu platzieren.
- Ich nehme Kontakt auf zu einer transgender Organisation, denn ich verfüge über eine recht große Publizität, und vielleicht fällt uns gemeinsam etwas ein, wie man die zur Abwechslung positiv nutzen kann.
- Und schließlich würde ich mich freuen, wenn hier in den Kommentaren diskutiert würde und vielleicht Ideen gesammelt werden könnten, wie sich mit sozialen Medien eine positive Wirkung für transgender Belange bewerkstelligen ließe.
Abschließend eine Bemerkung, die in Zeiten von Hass und Hyper-Empörung im Netz vielleicht ein wenig Zuversicht gibt. Als ich nach meiner Rede auf Twitter viel Kritik wegen meiner Verwendung des Begriffs sah, war ich erst irritiert. Als ich dann aber nachfragte, geschah etwas Wundersames. Obwohl ich ein enorm verletzendes Wort massiv in die Welt getrötet hatte (das Zitat wurde sogar von der Tagesschau weiterverbreitet) – war ausnahmslos jede soeben von mir herabgewürdigte Kritikerin im direkten Kontakt außerordentlich freundlich und offen, und alle nahmen sich die Zeit, mir alles ausführlich zu erklären. Was sie mutmaßlich schon tausend Mal mit gemischtem Erfolg getan hatten. Man muss sich das vergegenwärtigen: Erklärende Freundlichkeit als Reaktion darauf, schwer beleidigt zu werden. Wenn das keine Hoffnung macht auf eine bessere Zukunft im Netz, ganz ohne Brandstifter – was dann.