In der deutschsprachigen Twittersphäre geht gerade diese Weltkarte/Datengrafik herum, gebastelt vom Gründer der Firma Shodan, der laut eigener Aussage alle mit dem Internet verbundenen Devices angepingt hat:
Oh, ja. Das Internet ist ja eine rein europäisch/amerikanische Veranstaltung. Über die Chinesen hört man ja viel, aber so dolle scheint das ja nicht zu sein! Und Afrika, oh Gott!
Kann man so denken, wenn man die Karte betrachtet. Dann stutzt man vielleicht – Moment, warum ist Japan denn nicht durchgehend rot, wo doch sogar Mecklenburg-Vorpommern…?
Tatsächlich ist die Karte ohne Legende und technische Erläuterung stark irreführend und enthält – ziemlich sicher unbeabsichtigt – westlich-chauvinistische Elemente. Sie ist ein Musterbeispiel dafür, wie man mit Statistik, Datenjournalismus und Infografiken irreführen kann, will sagen: Leute die falschen Schlüsse ziehen lassen kann, ob aus Versehen oder absichtlich.
Es beginnt damit, dass hier IP-Adressen abgefragt wurden, der Gründer der Firma Shodan, von dem die Karte stammt, sagte, das habe er in ein paar Stunden gemacht. Das kann nur heißen, dass er IPv4-Adressen “angepingt” hat, davon gibt es eine bewältigbare Menge, nämlich rund 4 Milliarden. Allerdings ist diese Technologie recht alt und wird deshalb eher dort benutzt, wo das Internet zuerst war. In China (und Teilen von Asien) ist man längst auf IPv6 aufgesprungen, davon gibt es mehr Adressen als Atome im Universum (Schätzwert), nämlich 340 Sextillionen. Eine Abfrage aller dieser Adressen würde – wenn man eine milliardstel Sekunde je Abfrage bräuchte – ganz grob überschlagen zehn Trillionen Tage dauern, also ein paar Billiarden Jahre. Diese IPv6-“Geräte” werden also hier nicht gezeigt, daher ist China zwar a) forschrittlicher und hat mehr Netznutzer als die USA, sieht hier aber dunkel aus (völlig abgesehen von Chinas “Great Firewall“, die das Ergebnis vermutlich noch stärker verfälscht).
Dazu kommt, dass keine “Geräte” angezeigt werden im allgemeinverständlichen Sinn des Worts. Hinter einem hier abgebildeten Farbpunkt kann sich theoretisch ein Einzelrechner ebenso verbergen wie ein Routinghost für tausende Nutzer.
Dazu kommt ebenfalls, dass aus Sicherheitsgründen viele Geräte (Endkundenrouter etwa) absichtlich nicht antworten, wenn so eine Anfrage kommt, wie der Shodan-Mann sie losgesendet hat (ein Ping-Signal ist eine Art “Hallo ist da wer?”-Abfrage). Diese “Geräte” fehlen also auch alle, und das sind viele, eventuell könnten es sogar die Mehrheit sein, da kenne ich mich zu wenig aus und es gibt recht unterschiedliche Schätzungen über die Größenordnung.
Dazu kommt auch noch, dass zum Beispiel in Afrika viele Elemente des Internet/der digitalen Vernetzung mobil abgebildet werden durch Handys. Die können hier bei einer IPv4-Ping-Abfrage aber gar nicht (so einfach) angezeigt werden. Im Sub-Sahara-Afrika gibt es rund 500 Millionen Handynutzer, die diese Karte nicht erfasst. Insgesamt liegt die Internetnutzerrate in Afrika bei 21% (Q4/2013, laut internetworldstats.com, eine einigermaßen verlässliche, schon lange bestehende Quelle), schon 2012 hat die Gesamtzahl der afrikanischen “Mobile Subscribers” die Zahl sowohl in der EU wie auch in den USA überholt.
Diese ganzen technischen Hintergründe (die ich hier etwas vereinfacht dargestellt habe) sind dem Shodan-Gründer mit Sicherheit bekannt, das ist kein Geheimwissen. Die Karte hat er auch mit einem Zwinkern präsentiert und sprach auf Twitter von “pinged all devices”. Für Leute mit Fachkenntnis sollte dann alles einigermaßen klar sein. In der ersten Rezeption aber hat zumindest die deutsche Twitterlandschaft sofort das hineininterpretiert, was sie glaubte, hoffte oder fürchtete zu sehen.
Denn man kann sich natürlich je nach Gusto sofort schön überlegen fühlen oder in Mitleid suhlen, wenn man diese Karte sieht, wo China nur ein paar Farbkleckse enthält und Afrika praktisch keine.
Nachtrag: der Gründer von Shodan war übrigens schon mal vor anderthalb Jahren in der Presse mit einem, sagen wir, “Dual Use”-Projekt.
Noch ein Nachtrag: Das Getöse um diese Datenkarte zeigt sehr gut die Schwierigkeiten, wenn man a) zuviel technischen Sachverstand beim Publikum erwartet, b) nicht eine Grundregel des Datenjournalismus beachtet, nämlich “Legende an die Daten kleben” und c) die Dynamik von Bildern in sozialen Medien unterschätzt, die begleitenden, aber nicht abgebildeten Text schnell unter den Tisch fallen lässt und sich dann eigene (Quatsch-)Interpretationen herausbilden.